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Prozessschutz und Wirtschaftswälder

Weniger als 2 % der bundesdeutschen Wälder werden überhaupt nicht genutzt und befinden sich damit in einer natürlichen Waldentwicklung in zu einem vom Menschen unbeeinflussten Naturwald. Diese Entwicklung hin zu einem Naturzustand, nicht zum „Urzustand“ bzw. Urwald – denn es ist unwahrscheinlich, dass am ende der des Prozess eine Wald herauskommt wie vor der menschlichen Nutzung – ist als „Prozess“ ab dem Moment geschützt, wen die menschliche Nutzung aufhört. Ungenutzte Wälder, also Prozessschutz, findet vorzugsweise in den Kernzonen von Nationalparken oder Biosphärenreservaten statt, kleinräumiger auch in sog. „Bannwäldern“ oder Naturwaldzellen. Deutschland will Anteil der Wälder im „Prozessschutz“ im Rahmen der Nationalen Biodiversitätsstrategie auf 5% erhöhen (Nationale Strategie zur biologischen Vielfalt Kabinettsbeschluss vom 7. November 2007). 

Ungenutzte Wälder weisen im Mittel mehr Arten auf als genutzte und auch als naturnah bewirtschaftete Wälder auf, und zwar je länger sie aus der Nutzung sind desto mehr (Paillet et al. 2009, Müller 2015). Besonders artenreiche Stadien stellen hierbei die Zerfallsphasen und frühen Verjüngsphasen dar, die auch naturnah bewirtschafteten Wäldern weitgehend fehlen (Müller 2015, Hilmers et al. 2018). In diesen Phasen können sich vorübergehend auch Arten etablieren, die nicht dicht geschlossenen Wald meiden oder sogar überwiegend im Offenland vorkommen (z.B. Auerhuhn, Gartenrotschwanz) (Müller et al. 2010, Rösner et al. 2014). Ungenutzte Prozessschutzwälder sind jedoch nicht in allen Organismengruppen artenreicher als naturnah genutzte Wälder. So gilt dies vor allem für totholzbewohnende Organismengruppen, bei Gefäßpflanzen sind naturnah bewirtschaftete Wälder sogar artenreicher und bei Vögeln besteht kein Unterschied ungenutzten und naturnah genutzten Wäldern (Paillet et al. 2009). Sowohl naturnahe Nutzung als auch Prozessschutz scheinen sich hierbei entlang funktioneller Charakteristika der Organismen auszuwirken (Gossner et al. 2013). So hat die völlige Aufgabe von Nutzung einen positiven Einfluss auf die Artenzahl von Pilzgruppen, die organisches Material in Form von Humus oder Totholz zersetzen. Die Artenzahlen von Ecto-Mycorrhiza-Pilzen, also unsre bekanntes Speie und Giftpilze aus, profitieren von Prozessschutz nicht oder gehen sogar zurück. Unabhängig davon sind aber über alle Pilzgruppen hinweg die Fruchtkörper in ungenutzten Prozessschutz-Wäldern größer (Bässler at al. 2014).

Alte, völlig ungenutzte Wälder sind darüber hinaus von substantieller Bedeutung für einige, sehr seltene und wenig ausbreitungsfreudige, sog. „Urwald-Reliktarten“. Diese konnten nur dort überleben und sich wieder erholen, wo Reste von „Urwald“, also ursprünglicher, alter Wald, immer vorhanden waren, also niemals ganz verschwunden waren (Bässler & Müller 2010, Busse et al. 2022).

Prozessschutz bedeutet aber auch, Katastrophen wir Dürren und in deren Folge Borkenkäferbefall oder auch Waldbrände zuzulassen. Dies stellt nicht nur z.B. Nationalparkverwaltungen, sondern rauch den Naturschutz allgemein vor große Herausforderungen, da von diesen Katastrophen auch Natura-2000-Lebensraumtypen und Arten negativ beeinflusst werden können (Schuldt et al. 2018, Brunzel & Hill 2022).

Fotogalerie


Quellen

Brunzel, S. & Hill, B. (2022): Klimawandel und Natura 2000: zur nötigen Flexibilsierung der FFH-Richtlinie. Natur und Landschaft 95: 252 – 258.

Bässler C., Ernst R., Cadotte M.,  Heibl C.,  Müller J. (2014): Near-to-nature logging influences fungal community assembly processes in a temperate forest. Journal of Applied Ecology.

Gossner M., Lachat T., Brunet J.,  Isacsson G., Bouget C., Brustel H., Branld R.,  Weisser W., Müller J. (2013): Current Near-to-Nature Forest Management Effects on Functional Trait Composition of Saproxylic Beetles in Beech Forests. Conservation Biology 27.

Federal Ministry for the Environment, Nature Conservation and Nuclear Safety (BMU) (2007): National Strategy on Biological Diversity, October 2007.

Hilmers, T., Friess, N., Bässler, C., Heurich, M., Brandl, R., Pretsch, H., Seidl, R., Müller, J. (2018): Biodiversity along temperate forest succession. Journal of Applied Ecology 55: 2756–2766. 

Müller, J., Reed, F.N. Bussler, H., Brandl, R. (2010): Learning from a ‘‘benign neglect strategy” in a national park: Response of saproxylic beetles to dead wood accumulation. Biological Conservation 143: 2559 – 2569.

Müller J. (2015): Prozessschutz und Biodiversität. Überraschungen und Lehren aus dem Bayerischen Wald- Natur und Landschaft 9/10: 421-425.

Paillet, Y. et al. (2009): Biodiversity Differences between Managed and Unmanaged Forests: Meta-Analysis of Species Richness in Europe. Conservation Biology 24(1): 101-112.

Rösner, S., Mussard-Forster, E., Lorenc, T. & Müller, J. (2014): Genetic assessment reveals a viable and coherent population of a highly endangered forest bird. Journal of Wildlife Management 60: 789 – 801.

Schuldt, B., Buras, A., Arend, M. Et al. (2018): A first assessment of the impact of the extreme 2018 summer drought on Central European forests. Basic and Applied Ecology 45: 86 – 103.

Datum: 09.11.2024
Online: https://www.natura2000manager.de
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