Klimawandel und Natura 2000
Der anthropogene Klimawandel hat vielfältige direkte und indirekte Beeinträchtigungen von Populationen und Artengemeinschaften sowie deren Rückkopplungsmechanismen mit Ökosystemfunktionen zur Folge. Die Dynamik dieser Veränderungen ist dabei so hoch, dass natürliche Anpassungsmechanismen auf der Ebene der Populationen hier häufig nicht Schritt halten können. Arealverschiebungen von Arten sowie Aussterbe- und Besiedlungsprozesse auf lokaler Ebene können dabei aufgrund von Extremereignissen, der Veränderungen abiotischer Nischenparameter (z.B. Temperatur, Feuchte) oder ökosystemarer Prozesse (z.B. Produktivität, Bodenmerkmale) erfolgen. Ein wesentlicher Faktor ist zudem die Disruption von Interaktionsnetzen zwischen Arten, welche durch eine gemeinsame koevolutive Vergangenheit entstanden sind. Hierbei spielt nicht nur das Verschwinden von Arten, sondern auch das Auftreten invasiver Arten eine entscheidende Rolle. Diese Prozesse stellen eine konkrete Gefahr für die zukünftige Erfüllung der Schutzziele des Natura 2000-Netzwerkes dar (Aráujo et al. 2011) und der sehr dynamische Prozess des Klimawandels steht dabei in einem gewissen Widerspruch zum eher statischen und konservativen Schutzgebietskonzept und seiner Fokussierung auf spezifische Arten oder die durch diese gekennzeichneten Lebensraumtypen (Altmoos & Burkhardt 2016, Brunzel & Hill 2022). Die Erhaltung dieser Arten und Lebensräume in vielen Schutzgebieten wird zukünftig aufwendiger werden mit einem erhöhten Risiko des Verlustes des Schutzwertes (Nila et al. 2019).
Natura 2000-Schutzgebiete bieten dabei in gewissem Maße Möglichkeiten zur Abmilderung des Klimawandels, beispielsweise durch den Schutz bzw. der Entwicklung der Funktionsfähigkeit natürlicher Kohlenstoffspeicher (Moore, Wälder, Gewässer). Dies bedarf jedoch einer gezielten und konzeptionell noch zu entwickelnden gezielten Förderung entsprechender Ökosysteme (Ibisch & Kreft 2009). Darüber hinaus beinhalten sie Potenziale zur Anpassung von Arten und natürlichen Artengemeinschaften an den Klimawandel. Diese ergeben sich vor allem durch die genetische Diversität und insbesondere den vorhandenen und zu schützenden Pool an Genotypen von Tier- und Pflanzenarten, welche durch lokale Adaption an spezifische Standorte ein (Wieder-) Besiedlungspotenzial für Landschaften unter zukünftigen Klimabedingungen beherbergen. Das Potenzial der Schutzgebiete zur Anpassung an den Klimawandel ist daher abhängig von ihrer Konnektivität und Vernetzung, um Besiedlungsprozesse und genetischen Austausch zu gewährleisten. Allerdings spielen die Landschaftsmatrix und auch eine in diesem Sinne effektive räumliche Konfiguration von Schutzgebieten in der Praxis eine sehr untergeordnete Rolle.
Vor dem Hintergrund des Klimawandels ergibt sich daher Handlungsbedarf bezüglich der zunehmenden Berücksichtigung (I) der Komplementierung des Schutzwertes durch den Aspekt schützenswerter Ökosystemfunktionalität (z.B. Kohlenstoffsequestrierung), (II) von Klimawandeleffekten in der Managementplanung, (III) der dynamischen Veränderungen im Artenspektrum vor dem Hintergrund des Schutzzieles und (IV) der räumlichen Schutzgebietskonfiguration und –konnektivität (siehe auch Ibisch & Kreft 2009, Nila et al. 2019, Brunzel & Hill 2022).
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Quellen
Araújo, M.B., Alagador, D., Cabeza, M., Noguès-Bravo, D., Thuiller, W. (2011): Climate change threatens European conservation areas. Ecology Letters 14: 484-492.
Altmoos M., Burkhardt R. (2016): Netzwerk Natura 2000 – Plädoyer für eine dynamische Sichtweise. Natur und Landschaft 91(6): 272 – 279.
Brunzel, S. & Hill, B. (2022): Klimawandel und Natura 2000: zur nötigen Flexibilsierung der FFH-Richtlinie. Natur und Landschaft 95: 252 – 258.
Ibisch, P.L., Kreft, S. (2009): Natura 2000 und Klimawandel. In: NABU-Bundesverband (Hrsg.): Stimmt das Klima? Naturschutz im Umbruch. Jahrbuch für Naturschutz und Landschaftspflege 57: 51-64.
Nila, U.S., Beierkuhnlein, C., Jaeschke, A., Hoffmann, Hossain, L. (2019): Predicting the effectiveness of protected areas of Natura 2000 under climate change, Ecological Processes, 8(13) doi:10.1186/s13717-019-0168-6.