Natura-2000-Manager/in Deutschland:
„Lehrgang über Grundlagen, Ökologie und Management von europaweit geschützen Arten und Lebensraumtypen “




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Großflächige Beweidungssysteme

Großflächige Beweidungssysteme als Konzept für das Management von naturschutzfachlich wertvollem Offenland mit Megaherbivoren (Wisent, Ur, Wildpferde u.a.) haben ihren Ursprung am Oostvardersplassen in den Niederlanden. Hier wurde eine 5600 ha große, überwiegend feuchte Fläche aus der Nutzung genommen und ab 1992 durch eine ganzjährige, ungesteuerte Beweidung mit ausgesetzten Rothirschen, Heck-Rindern und Koniks zur Offenhaltung für gefährdete, überwiegend bodenbrütende Vogelarten gemanaged (https://de.wikipedia.org/wiki/Oostvaardersplassen). Dieser erfolgreiche Ansatz zur Offenhaltung naturschutzfachlich wertvoller, landwirtschaftlich unproduktiver, häufig nasser Flächen wurde dann in Deutschland ebenfalls ab Anfang 1990 Jahre zunächst zur Folgenutzung von renaturierten Flussauen verfolgt, z.B. in Lippeaue durch die ABU Soest (www.abu-naturschutz.de/betreuungsgebiete/hellinghauser-mersch), oder auch auf großflächigen, ehemaligen militärischen Liegenschaften (Bunzel-Drüke et al. 2008). Diese fallen besonders durch ihren Reichtum an gefährdeten Offenlandarten auf, die in der intensiv genutzten Agrarlandschaft vielerorts bereits verschwunden sind (Bunzel-Drüke et al. 2019). 

Großflächige Beweidungssysteme streben an, auf einer möglichst großen Fläche (große) Graser (Pferde, Rinder) in einer sehr geringen Beweidungsdichte von 0,4 bis 0,6 Großvieh-Einheiten pro ha (GVE / ha) zumeist in arterechter Herdenstruktur ganzjährig frei weiden zu lassen. Aufgrund der geringen Dichte sind die Flächen dann im Sommer unterbeweidet und bieten damit beweidungsempfindlichen Arten geeignete Reproduktions-Freiräume. Bei nur geringer, aber tierschutzgerechter Zufütterung im Winter fressen die Weidetiere dann alles - auch schlecht schmeckende, abgestorbene Vegetation - und erhalten so den offenen Grünlandcharakter (www.bundewischen.de, Bunzel-Drüke et al. 2008). So entstehen auch aufgrund der “intermediate disturbance hypothesis” aus der Ökologie, d.h. bei mittleren Störunsgintensitäten ist der Artenreichtum in den meisten Lebensräumen am höchsten, artenreiches Offenland mit allen Übergängen von intensiv bis hin zu kaum beweideten Waldbereichen (www.weide-projekte-hessen.de, Brunzel-Drüke et al. 2019).

Auch der Naturschutz wird von Zeitgeist, Traditionen und z.T. von Dogmen bestimmt. Beweidung wurde zur Erhaltung von naturschutzfachlichen wertvollen Kulturlandschafts-Lebensräumen lange kritisch gesehen, da beweidungsempfindliche Arten wie z.B. Orchideen davon beeinträchtigt werden können (vgl. Kaule 1986, Plachter 1991). Erst als durch Untersuchungen gezeigt werden konnte, wie wichtig z.B. wandernde Schafherden vor allem für die Ausbreitung von Arten und den (genetischen Austausch) zwischen isoliert liegenden Schutzgebieten sind (vgl. u.a. Fischer et al. 1996), war Beweidung zum Erhalt artenreicher Lebensräume auch im deutschsprachigen Naturschutz “en vogue”.

Heutzutage ist der immense Nutzen von großflächigen Beweidungssystemen mit professionellem Management für den Erhalt von Offenland-FFH-Lebensraumtypen und vielen – nicht allen – beweidungsempfindlichen Arten in vielen Fällen belegt (vgl. Brunzel-Drüke et al. 2019). So konnte z.B. durch langjähriges Monitoring gezeigt werden, daß sich auch die als beweidungempfindlich geltenden Ameisenbläulinge Phengaris nausithous und P. teleius mit z.T. über 0,6 GVE / ha hinausgehende Beweidungsdichten erhalten lassen (Bluth et al. 2020). Für andere beweidungsempfindliche Arten wie Trollius europaeus scheint jedoch extensive Beweidung auch im Rahmen von Naturschutzprogrammen nach wie vor ein Problem zu sein (Kowarsch et al. 2022).

Fotogalerie


Quellen

Bluth, T., Erber, K., Jessat, M., Brunzel, S. (2020): Ganzjährige Großkoppel-Beweidung: Auswirkungen auf Populationen der Wiesenknopf-Ameisenbläulinge Phengaris nausithous und Phengaris teleius Naturschutz und Landschaftsplanung 52: 548-590.

Bunzel-Drüke, Böhm, C., Finck, P., Kämmer, G., Luick, R., Singer, E., Riecken, U., Riedl, J., Scharf, M., Zimball, O. (2008): „Wilde Weiden“ – Praxisleitfaden für Ganzjahresbeweidung in Naturschutz und Landschaftsentwicklung. Arbeitsgemeinschaft Biologischer Umweltschutz im Kreis Soest (ABU), Bad Sassendorf-Lohne.

Bunzel-Drüke, M., Reisinger, E., Böhm, C., Buse, J., Dalbeck, l., Ellwanger, G., Finck, P., Freese, J., Grell, H., Hauswirth, L. et al. (2019): Naturnahe Beweidung. Ganzjahresbeweidung im Management von Lebensraumtypen und Arten im europäischen Schutzgebietssystem NATURA 2000. 2. überarb. und erw. Auflage. Herausgeber: Arbeitsgemeinschaft Biologischer Umweltschutz im Kreis Soest e.V. (ABU). Bad Sassendorf-Lohne.

https://de.wikipedia.org/wiki/Oostvaardersplassen

Kaule G. (1986): Arten- und Biotopschutz. Verlag Eugen Ulmer. Stuttgart: 461 S.

Kowarsch, N. R., Ziegenhagen, B., Liepelt, S., Mengel, C. , Titze, A., Wrede, K. Fichna, N., Schubert, W.(2022): Ex-situ-/In-situ-Erhaltungsmaßnahmen für gefährdete Bestände der Trollblume an ihrem nordwestlichen Verbreitungsrand. Naturschutz und Landschaftspflege 5: 157-168.

Plachter H. (1991): Naturschutz. Verlag Eugen Ulmer. Stuttgart: 463 S.

www.abu-naturschutz.de/betreuungsgebiete/hellinghauser-mersch

www.bundewischen.de

www.weideprojekte.de

Datum: 29.03.2024
Online: https://www.natura2000manager.de
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